Was heißt beten?
Das Gebet ist nach der klassischen Definition Aufsteigen des Herzens zu Gott („ascensus mentis in Deum; elevatio mentis in Deum“), der Fülle und der Quelle alles Guten. Wenn der Mensch zum einen die Güte Gottes und zum anderen die eigene Bedürftigkeit bedenkt und anerkennt, erhebt sich sein Herz wie von selbst zu Gott in der Gesinnung des Dankens, des Lobpreises und auch der Bitte. Das ist das Wesentliche und zugleich immer, überall und für jeden Mögliche. Es ist vergleichbar mit den Worten auf einem Plakat in einem Blumenladen, wo folgende Werbung stand: „Unsere Blumen sind so billig, dass sogar Ehemänner welche kaufen können.“ So ist es auch mit dem Gebet: Es ist eigentlich einfach zu beten. Jeder kann das, und zwar immer und überall. Denn Gebet ist vor allem Gesinnung des sich an Gott wendenden und bindenden Menschen, vertraulich ehrfürchtiges und ehrfürchtig vertrauliches Gespräch, und zugleich Verweilen des erleuchteten Geistes in dem ihm eigenen Genuss („hominis Deo adhaerentis affectio, et familiaris quaedam et pia allocutio, et statio illuminatae mentis ad fruendum quamdiu licet“). Es ist aber etwas Großartiges, Wunderbares, das den Menschen als solchen übertrifft, wie der hl. JOHANNES CHRYSOSTOMUS sagt: „Bedenke, welch ein Glück dir geschenkt ist, welche Ehre dir verliehen: durch Gebete mit Gott zu sprechen, mit Christus Gespräche zu halten, zu wünschen was du willst, zu verlangen was du begehrst.“ Das Beten nennt der hl. THOMAS V. AQUIN zu Recht „eine Gnadengabe Gottes“. In dieser aus dem Herzen kommenenden, offenen und zugleich geheimnissvollen Kommunikation geschieht etwas Einzigartiges, etwas Raum und Zeit Übersteigendes, wie der hl. ARNOLD JANSSEN sagt: „Wer betet, verbindet Himmel und Erde“. So ist es durchaus logische, dass die Hölle alleine der Ort ist, wo man nicht betet, weil man sich dort von Gott endgültig losgesagt hat. Es gibt aber nichts Schlimmeres und nichts Naturwidrigeres als wenn der Mensch freiwillig das Beten verweigert.
Für Menschen, die sich für Gott öffnen, ist Beten kein Überdruss und keine zeitraubende Mühsal. Vielmehr ist es etwas Fliegendes und Strömendes. Wenn es aus der Mitte des menschlichen Daseins kommt, mag es ganz ruhig oder auch stürmisch sein, braucht es schier keine lange Zeit und kann doch alle Zeit erfüllen; es lässt sich nicht nach Stunden bemessen und überflutet doch alle Stunden. Das Beten ist das wundersamste Tun der Menschenseele. Es ist gar nicht wie all das Getue, dem wir uns widmen müssen. Eigentlich ist es nicht so sehr ein Tun, wie ein Zustand, der wunderbarste, in dem eine Seele sein kann. Wenn sie ihn einmal besitzt, dann kommt sie kaum mehr heraus. Es ist, wie wenn sie ihren Gleichgewichtszustand gefunden hätte, den Beharrungszustand eines fliegenden Vogels, eines unaufhaltsamen Windes, der nicht müde wird, zu wehen, ruhig, beständig und dynamisch zugleich. So gehen einzelne Akte ins Sein über, auch kurze Gebete werden zum betenden Sein, das sie anregen, nähren und bezeugen. Nach dem hl. ALFONS VON LIGUORI meint „der Geist des Gebets“ die Gewohnheit, sich in allen Anliegen, sofort und immer an Gott zu wenden. Sage mir, ob und wie du betest, und ich sage dir, wer du bist – so kann man diese Gesetzmäßigkeit auf den Punkt bringen.